Rosinentheorie - Einfach erklärt

Bei der Rosinentheorie geht es darum, ob man sich im gleichen Fall bezüglich der gleichen Tatsache zum einen auf die Registerlage (so wie es im Handelsregister steht) und zum anderen auf die tatsächliche Rechtslage berufen darf.

Fall zur Rosinenheorie

Damit das Ganze nicht so abstrakt bleibt, kommt hier ein kleiner Fall zur Rosinentheorie, der so ähnlich auch in Deiner Klausur drankommen könnte:

A und B sind Gesellschafter einer OHG, die sich auf den An- und Verkauf von gebrauchten Baumaschinen spezialisiert hat. Im Gesellschaftsvertrag ist vereinbart, dass A und B nur gemeinschaftlich zur Vertretung der OHG berechtigt sind. Zudem wird vereinbart, dass im Falle eines Ausscheidens eines Gesellschafters der andere Gesellschafter die Alleinvertretungsmacht der OHG innehat. Im Juni kommt es zum Streit zwischen den beiden und B verlässt das Unternehmen. Das Ausscheiden des B wird nicht in das Handelsregister eingetragen. Im August schließt A im Namen der OHG einen Kaufvertrag mit C. C verlangt nun von B Zahlung des Kaufpreises. B meint, dass er nicht mehr Gesellschafter der OHG sei. Hat C gegen B einen Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises?

Das Rechtsproblem

Damit C einen Anspruch hat, muss er sich zum einen auf die tatsächliche Rechtslage (B = kein Gesellschafter = A handelt mit Vertretungsmacht) berufen. Zum anderen muss er sich auf die Registerlage (B = Gesellschafter = Anspruchsgegner) berufen. Das ist eigentlich widersprüchliches Verhalten.

Rosinentheorie des BGH

Nach der Rosinentheorie des BGH ist dieses (widersprüchliche) Verhalten erlaubt. Der Dritte darf sich einerseits auf die tatsächliche Rechtslage und andererseits auf die Registerlage berufen. Der Dritte darf sich also auf die für ihn jeweils günstige Lage berufen und sich die Rosinen rauspicken. Die Theorie ist aber nicht unumstritten.

Argumente für und gegen die Rosinentheorie

Egal, ob Du Deine Klausur im Handelsrecht oder Unternehmensrecht schreibst, die Argumente zur Rosinentheorie musst Du draufhaben. Deshalb haben wir Dir die wichtigsten Argumente aufgelistet, die für und gegen die Rosinentheorie sprechen.

Contra-Argument: Widersprüchliches Verhalten. Der Dritte ist nur abstrakt schutzwürdig, nicht aber im konkreten Fall. 

Pro-Argument: Gesellschafter nicht schutzwürdig. Der Gesellschafter ist nicht schutzwürdig. Wenn er seine Haftung verhindern will, dann muss er sich halt einfach darum bemühen, dass sein Ausscheiden aus der OHG auch in das Handelsregister eingetragen wird.

Pro-Argument: Prinzip der Meistbegünstigung. § 15 Abs. 1 HGB will den Rechtsverkehr schützen und der Dritte kann sich auf das berufen, was für ihn günstig ist. Und wenn er sich dann einerseits auf das Register beruft und andererseits nicht, weil das für ihn günstiger ist, dann entspricht das genau dem Sinn und Zweck von § 15 Abs. 1 HGB.

Rosinentheorie im Arbeitsrecht

Wusstest Du, dass die Rosinentheorie nicht nur im gesellschaftsrecht, sondern auch im Arbeitsrecht eine Rolle spielen kann? Dort hat das Ganze natürlich nichts mit dem Handelsregister zu tun, sondern es geht darum, ob sich der Arbeitnehmer beim Arbeitsvertrag "die Rosinen rauspicken" darf (Günstigkeitsprinzip). Beispiel: Im Arbeitsvertrag von A steht, dass er 35 Tage Urlaub bekommt und 10€ zusätzliches Urlaubsentgelt. Im Tarifvertrag steht, dass ihm 30 Tage, aber 11,50 € pro Urlaubstag zustehen. Darf er jetzt 35 Urlaubstage und jeweils 11,50€ geltend machen? Die Antwort ist Nein. Der Arbeitnehmer darf nicht selektiv vorgehen und sich nur die für ihn günstigen Regelungen heraussuchen. Nach dem Bundesarbeitsgericht kommt es darauf an, ob die Bestimmungen denselben Gegenstand betreffen. Hier hängen Urlaubstage und Urlaubsgeld zusammen, also darf man sich hier nicht die Rosinen rauspicken.