Actio libera in causa (a.l.i.c.) - Schema, Definition und Theorien

strafrecht at Nov 02, 2024
Actio libera in causa

1. Einleitung

Stell dir vor, du willst jemandem eine runterhauen, hast aber gehört, dass man ab einem bestimmten Pegel „schuldunfähig“ ist und nicht bestraft wird. Ziemlich clever, oder? Einfach vorher richtig einen draufmachen, und dann völlig schuldfrei den Nachbarn abwatschen? So leicht macht’s uns das Strafrecht zum Glück nicht. Denn hier kommt die „actio libera in causa“ (oder kurz: a.l.i.c. oder alic) ins Spiel. Die actio libera in causa, dass Täter auch dann bestraft werden, wenn sie sich absichtlich in einen schuldunfähigen Zustand versetzen, um in diesem Zustand eine Straftat zu begehen. Wie genau das funktioniert, in welcher Konstellation die a.l.i.c. eingreift, welche Theorien und Meinungen es zur actio libera in causa gibt und warum sie bei Fahrlässigkeit und eigenhändigen Tätigkeitsdelikten nicht eingreift, lernst Du in diesem Artikel.

 

2. Grundprinzip der Actio libera in causa

a. Grundsatz: Schuldunfähigkeit

Unter normalen Umständen gilt im Strafrecht: Ist der Täter zum Zeitpunkt der Tat schuldunfähig – etwa wegen schwerer Trunkenheit – so kann er für seine Handlung nicht bestraft werden (§ 20 StGB). Beispiel: T schlägt O. Zum Zeitpunkt des Schlages hat einer einen BAK-Wert von 3,4 Promille und ist daher schuldunfähig. T hat sich nicht strafbar gemacht, sondern ist gemäß § 20 StGB entschuldigt.

 b. Ausnahme: Doppelvorsatz bei der a.l.i.c.

Dieses Ergebnis ist dann aber nicht gerechtfertigt, wenn der Täter sich absichtlich in diesen Zustand bringt, um so eine Strafbarkeitslücke zu konstruieren. Erforderlich ist, dass der Täter einen „Doppelvorsatz“ besitzt: Einerseits den Vorsatz, sich in den schuldunfähigen Zustand zu versetzen, und andererseits den Vorsatz, in diesem Zustand eine Straftat zu begehen. Ein klassisches Beispiel ist der Fall, in dem jemand sich betrinkt, um eine Straftat zu begehen und dann für die Tathandlung aufgrund des berauschten Zustands nicht mehr schuldfähig ist.

 

3. Actio libera in causa – Beispiel

Soweit die Grundlagen. Aber wie löst Du dieses Problem in einer Klausur? Der große Trick besteht darin, bei der Tathandlung genau zu differenzieren und zu wissen, an welcher Stelle Du die verschiedenen Meinungen unterbringst. Lass uns gemeinsam einen Beispielsfall mit Lösung anschauen.

a. Sachverhalt

T will O umbringen. Um einer Strafbarkeit zu entgehen, betrinkt sich T mit Alkohol, bis er einen BAK-Wert von 3,3 Promille hat. In diesem Zustand erschießt T den O. Strafbarkeit des T nach § 212 Abs. 1 StGB?

b. Lösung: Aufbauschema actio libera in causa (alic)

Grundsätzlich ist T im Zeitpunkt der Tathandlung nach § 20 StGB schuldunfähig. Eigentlich müsste dann eine Strafbarkeit aus § 212 I StGB ausscheiden und T würde nur nach § 323a StGB bestraft. Der Strafrahmen von § 323a StGB wird aber z.B. bei einer Tötung im Vergleich zu § 212 I StGB oder § 211 StGB als zu niedrig angesehen. Daher musst Du bei den Tathandlungen differenzieren und das Ganze Problem wie folgt aufbauen:

A. Strafbarkeit gem. § 212 I StGB (Tathandlung: Der Schuss)

I. Tatbestand (+)

II. Rechtswidrigkeit (+)

III. Schuld (-)

Grundsatz: Schuldunfähigkeit (§ 20)

Meinung 1: Ausnahmetheorie

Meinung 2: Ausdehnungsmodell

 B. Strafbarkeit gem. § 212 I StGB (Tathandlung: Sich-Betrinken)

I. Tatbestand (+)

Sich-Betrinken = Tathandlung?

Meinung 3: Werkzeugtheorie

Meinung 4: Vorverlagerungstheorie

II. Rechtswidrigkeit (+)

III. Schuld (+)

Der Trick bei der a.l.i.c. ist also zuerst auf die spätere Tathandlung (z.B. Schuss, Schlag etc.) abzustellen und dort im Rahmen der Schuld die Ausnahmetheorie und das Ausdehnungsmodell zu diskutieren. Da diese Theorien nicht überzeugen, bleibt es beim Grundsatz, dass der Täter ohne Schuld gehandelt hat und eine Strafbarkeit wird verneint. Im zweiten Schritt knüpfst Du an das Versetzen in den Rauschzustand in der Absicht später eine Straftat zu begehen als Tathandlung an. Wie man begründet, dass das eine taugliche Tathandlung ist, ist umstritten. Hier musst Du die Werkzeugtheorie und die Vorverlagerungstheorie kennen. Was die Meinungen genau sagen, haben wir Dir im nächsten Abschnitt erklärt.

 

4. Theorien zur Lösung der actio libera in causa

Es gibt verschiedene Meinungen, um die actio libera in causa zu lösen. Wo Du diese Meinungen in einer Klausur einbaust, haben wir Dir gerade erklärt. Jetzt lernst Du, was die Theorien inhaltlich sagen.

a. Ausnahmetheorie

Nach der Ausnahmetheorie (auch Ausnahmemodell) handelt es sich bei der alic um eine gewohnheitsrechtliche Ausnahme von § 20 StGB. Diese Ansicht stößt jedoch auf Kritik, da sie gegen das Gesetzlichkeitsprinzip und das Verbot der gewohnheitsrechtlichen Bestrafung verstößt​.

b. Ausdehnungsmodell

Bei dem Ausdehnungsmodell (auch Ausdehnungstheorie) wird der Begriff „bei Begehung der Tat“ in § 20 StGB so weit ausgelegt, dass der gesamte Zeitraum vom Sich-Betrinken bis zum tödlichen Schuss als „Tat“ erfasst wird. Diese Theorie verstößt erstens gegen das Analogieverbot, weil die Norm über den Wortlaut hinaus ausgelegt wird. Und zweitens verstößt diese Lösung gegen das Koinzidenzprinzip. Den Begriff „bei Begehung der Tat“ kennst Du schon von § 16 StGB. Nach § 8 StGB bedeutet „bei Begehung der Tat“ „während der Tathandlung“. In diesem Fall wäre die Tathandlung das Schießen. Es ist inkonsequent, den gleichen Begriff in § 20 StGB anders auszulegen als in § 16 StGB.

c. Werkzeugtheorie

Dieses Modell, das auf der mittelbaren Täterschaft beruht, betrachtet den Täter im nüchternen Zustand als „Hintermann“, der sich im betrunkenen Zustand als „Werkzeug“ für die Tatbedingung verwendet. Diese Theorie eignet sich besonders für Erfolgsdelikte und stellt die Bestrafung des Täters sicher, wird jedoch bei eigenhändigen Delikten problematisch​ (dazu mehr weiter unten).

d. Vorverlagerungstheorie

Auch als Tatbestandsmodell bekannt, sieht sie das „Sich-Betrinken“ selbst als Tathandlung an. Die Theorie zieht eine Parallele zu Distanzdelikten, bei denen der Tatvorsatz im Vorfeld der eigentlichen Handlung festgelegt wird. Dadurch kann der Täter für die Tat bestraft werden, da er bei dieser Tathandlung noch schuldfähig war​.

 

5. Sonderfall 1: Die fahrlässige Actio libera in causa

Nicht immer plant jemand eine Straftat, bevor er sich betrinkt. Was, wenn jemand betrunken wird, ohne vorher den Vorsatz zu haben, eine Tat zu begehen, aber weiß, dass er im Rausch zu Gewalt neigt? Hier spricht man von der fahrlässigen actio libera in causa.

Beispiel: X hat sich am Wochenende heftig mit Freunden betrunken und schlägt im betrunkenen Zustand Y grundlos ins Gesicht. X wusste vorher, dass er im Rausch gewalttätig wird, hatte aber keinen Vorsatz, jemanden zu verletzen. Es fehlt also der Doppelvorsatz. In diesem Fall prüft man zunächst eine einfache Körperverletzung (§ 223 StGB). Da X aber beim Schlag schuldunfähig war, wird die Strafbarkeit verneint. Man könnte jetzt überlegen, so wie vorher an das Sich-Betrinken anzuknüpfen. Dafür fehlt es aber am Doppelvorsatz, weil X nicht den Vorsatz hatte im schuldunfähigen Zustand eine Straftat zu begehen. Deshalb wird hier § 229 StGB (fahrlässige Körperverletzung) herangezogen, da es objektiv vorhersehbar war, dass X im Rausch aggressiv werden würde und daher sorgfaltspflichtwidrig handelte. Eine actio libera in causa wird hier also nicht gebraucht, sondern die Fahrlässigkeit reicht.

 

6. Sonderfall 2: Actio libera in causa bei eigenhändigen Tätigkeitsdelikten

Eigenhändige Tätigkeitsdelikte wie Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) stellen einen weiteren Sonderfall dar. Hier wird der Täter bestraft, weil er die Handlung (besoffen Auto fahren) selbst vornimmt. Diese Delikte lassen sich nicht über die Werkzeugtheorie oder die Vorverlagerungstheorie lösen, da sie eigenhändig sein müssen und nur durch den Täter selbst begangen werden können.

Beispiel: Z trinkt auf einer Party zu viel und entscheidet sich, nach Hause zu fahren. Auf dem Heimweg wird er von der Polizei gestoppt. Da § 316 StGB ein Tätigkeitsdelikt ist, ist nicht das „Sich-Betrinken“ die Tat, sondern das Fahren unter Alkoholeinfluss. Man kann also nicht an das Besaufen anknüpfen, sondern nur an die eigenhändige Fahrt unter Alkohol. Auch hier ist eine actio libera in causa nicht möglich. Ist der Täter extrem betrunken und daher schuldunfähig, kommt § 323a StGB (Vollrausch) als Auffangtatbestand zur Anwendung.

 

7. Zusammenfassung actio libera in causa

Die actio libera in causa (a.l.i.c.) ist eine clevere Lösung des Strafrechts, um Täter, die sich absichtlich schuldunfähig machen, dennoch für ihre Taten zur Rechenschaft zu ziehen. Diesen Klausurklassiker solltest Du auf jeden Fall draufhaben. Verschiedene Modelle – Ausnahmetheorie, Ausdehnungsmodell, Werkzeugtheorie und Vorverlagerungstheorie – sind die Theorien, die Du kennen solltest. Auch die Sonderfälle der fahrlässigen alic und der actio libera in causa bei eigenhändigen Tätigkeitsdelikten musst Du gehört haben.

 

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