Gefälligkeitsverhältnis BGB AT (mit Video)
Oct 25, 2023Du hast im Video zum Aufbau einer Willenserklärung gelernt, dass kein Vertrag geschlossen wird, wenn die Parteien ohne Rechtsbindungswille handeln. Stattdessen bezeichnet man diese Konstellation als reine Gefälligkeit.
Rechtsbindungswille
Der Rechtsbindungswille ist der Wille, sich rechtlich zu binden. Es geht um die Frage, ob die Personen wirklich einen Vertrag schließen wollen, oder ob es eher ein normaler, alltäglicher Gefallen unter Bekannten ist. Ob dieser Wille vorliegt, bestimmt sich immer nach dem objektiven Empfängerhorizont. Das heißt es geht darum, ob ein objektiver Dritter davon ausgehen durfte, dass der Erklärende den Willen hat, rechtlich verbindlich zu handeln. Dies bestimmst Du durch eine Abwägung im Einzelfall. Dabei kannst Du auf verschiedene Kriterien zurückgreifen: Die wirtschaftliche und rechtliche Bedeutung der Angelegenheit, das wirtschaftliche und rechtliche Interesse der Parteien an der Tätigkeit und der Wert der anvertrauten Sache.
Reine Gefälligkeit
Handeln die Parteien ohne Rechtsbindungswille, liegt nur eine reine Gefälligkeit vor. Die Parteien haben weder Primär- noch Sekundäransprüche. Beispiel: A und B sind Nachbarn und haben ein gutes Verhältnis. Deshalb soll B bei A die Blumen gießen, während A im Urlaub ist. A hat gegen B keinen Anspruch auf das Blumen gießen (Also: Kein Primäranspruch). Auch hat A gegen B keinen vertraglichen Schadensersatzanspruch gegen B, wenn dieser z.B. aus Unachtsamkeit einen Blumentopf dabei zerstört (Also: Kein Sekundäranspruch). Unter Umständen hat B gegen A aber einen Anspruch aus dem Deliktsrecht (§ 823 I BGB). Dort stellt sich dann das Problem des Haftungsmaßstabs. Das Problem haben wir Dir weiter unten erklärt.
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Gefälligkeitsverträge
Handeln die Parteien mit Rechtsbindungswille, schließen sie einen verbindlichen Vertrag. Die Besonderheit dabei ist, dass der Vertrag unentgeltlich ist. Das bedeutet, dass der Leistende keine Gegenleistung erhält. Je nach Fall, können die Parteien einen von vier verschiedenen Verträgen schließen: Schenkung (§§ 516 ff. BGB), Leihe (§§ 598 ff. BGB), Auftrag (§§ 662 ff. BGB) oder Verwahrung (§§ 688 ff. BGB).
Gefälligkeit mit rechtsgeschäftsähnlichem Charakter
Handeln die Parteien mit einem beschränkten Rechtsbindungswillen, kann eine Gefälligkeit mit rechtsgeschäftsähnlichem Charakter vorliegen. Das ist eine Konstruktion, bei der die Parteien zwar keine Primäransprüche haben, aber trotzdem ein Sekundäranspruch aus §§ 280 I, 241 II, 311 II Nr. 3 BGB in Betracht kommt. Ob ein solcher Anspruch wirklich konstruiert werden kann, ist umstritten. Dagegen spricht der Wortlaut von § 311 II Nr. 3 BGB. „Ähnliche geschäftliche Kontakte“ lässt vermuten, dass es hier um Fälle im beruflichen oder unternehmerischen Kontext geht und gerade nicht um private Konflikte. Dafür spricht allerdings die Systematik. § 311 II Nr. 3 BGB ist ein Auffangtatbestand, der alle vertragsähnlichen Konstellationen erfassen soll. Ebenfalls für eine Anwendbarkeit spricht der Sinn und Zweck der Norm. § 311 Abs. 2 BGB regelt Schuldverhältnisse, bei denen das Vertrauen und die besondere Nähebeziehung der Parteien eine Rolle spielt. Dieses Vertrauen ist der Grund für die Begründung von Sorgfaltspflichten. Genau dieses Vertrauen und die besondere Nähebeziehung liegen in der Regel bei Gefälligkeiten vor.
Haftungsmaßstab
Gefälligkeitsverträge
Für vertragliche Schadensersatzansprüche greifen bei Gefälligkeitsverträgen Haftungsprivilegierungen (z.B. § 599 BGB bei der Leihe). Der Schuldner haftet nur noch für Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. Diese privilegierte Haftung ist die Belohnung dafür, dass er unentgeltlich haftet. Die Haftungsprivilegierungen finden nach herrschender Meinung auch bei deliktischen Ansprüchen Anwendung, da die Privilegierung ansonsten umgangen werden würde. Beim Auftrag (§§ 662 ff. BGB) gibt es allerdings keine Haftungsprivilegierung.
Gefälligkeiten
Bei der reinen Gefälligkeit und der Gefälligkeit mit rechtsgeschäftsähnlichem Charakter stellt sich die Frage, ob diese Haftungsprivilegierungen ebenfalls gelten. Dabei musst Du unterscheiden, ob die Tätigkeit auftragsähnlich ist oder nicht. Das bedeutet: Es geht um die Frage, welcher Vertragstyp einschlägig gewesen wäre, wenn die Parteien mit Rechtsbindungswillen gehandelt hätten.
Hätten sie keinen Auftrag, sondern eine Schenkung, Leihe oder Verwahrung vereinbart, werden die entsprechenden Haftungsprivilegierungen analog angewendet. Wenn der Schuldner, der mit Rechtsbindungswille handelt, von der Privilegierung profitiert, muss das erst recht für den Schuldner gelten, der ohne Rechtsbindungswille handelt.
Liegt ein auftragsähnliches Geschäft vor, greift keine Haftungsprivilegierung, weil beim Auftrag keine Haftungsprivilegierung gesetzlich geregelt ist. Stattdessen kann aber durch Auslegung ermittelt werden, dass die Parteien konkludent einen Haftungsausschluss oder eine Haftungsbeschränkung vereinbart haben. Das kann aber nur angenommen werden, wenn der Schädiger eine Haftungsbeschränkung gefordert hätte, wenn es zur Sprache gekommen wäre und wenn es der andere Teil nicht hätte ablehnen dürfen. Eine solche konkludente Vereinbarung ist aber in der Regel abzulehnen, wenn der Schädiger versichert ist, weil ansonsten diese Haftungsbeschränkung nur der Versicherung zu Gute kommt.
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