Potenzielles Erklärungsbewusstsein

Oct 25, 2023
 

Problem: Fehlendes Erklärungsbewusstsein

Im Video zum Aufbau einer Willenserklärung hast Du gelernt, dass eine Willenserklärung aus dem äußeren und dem inneren Tatbestand besteht. Der innere Tatbestand besteht aus dem Handlungswille, dem Erklärungsbewusstsein und dem Geschäftswillen. Wenn der Handlungswille fehlt, liegt auch keine wirksame Willenserklärung vor. Wenn der Geschäftswille fehlt, liegt zwar eine Willenserklärung vor, diese ist aber anfechtbar. Was aber passiert, wenn das Erklärungsbewusstsein fehlt?

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Beispiel: Trierer Weinversteigerung

Das beste Beispiel, um das Problem zu veranschaulichen ist der Trierer Weinversteigerungsfall: Der nicht ortskundige A geht eines Abends in einen Weinkeller, in dem gerade eine Weinversteigerung stattfindet. Dort sieht A überraschenderweise einen alten Freund und grüßt ihn, indem er seinen Arm hebt. Auktionator B geht davon aus, dass A seinen Arm gehoben hat, um ein Gebot abzugeben und erteilt ihm als Höchstbietender den Zuschlag für eine Flasche Wein. Hat A durch das Heben des Arms eine wirksame Willenserklärung abgegeben? 

A denkt, dass er durch das Heben des Arms nur seinem Freund winkt. Er weiß nicht, dass er damit ein Gebot im Rahmen einer Versteigerung abgibt. A hat nicht den Willen eine rechtserhebliche Erklärung abzugeben und handelt deshalb ohne Erklärungsbewusstsein. Aber was hat es für eine Konsequenz, wenn der Erklärende ohne Erklärungsbewusstsein handelt? Dazu gibt es verschiedene Meinungen.

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Fehlendes Erklärungsbewusstsein: Die Meinungen

Aktuelles Erklärungsbewusstsein

Eine Ansicht vertritt die Lehre vom aktuellen Erklärungsbewusstsein. Danach muss das Erklärungsbewusstsein vorliegen. Handelt der Erklärende ohne Erklärungsbewusstsein, liegt keine Willenserklärung vor.

Für diese Meinung sprechen zwei Argumente. Das erste Argument ist die Privatautonomie. Das ist die Freiheit, einen Vertrag abzuschließen. Oder eben einen Vertrag nicht abzuschließen. Würde man jetzt eine Willenserklärung annehmen, würde ein Vertrag gegen den Willen des Erklärenden zustande kommen. Das zweite Argument ist ein Erst-Recht-Schluss aus § 118 BGB. Dort steht sinngemäß drin, dass eine nicht ernst gemeinte Willenserklärung nichtig ist. Und zwar obwohl der Erklärende die Erklärung bewusst abgibt. Und wenn schon derjenige, der bewusst handelt, nicht an seine Erklärung gebunden ist, dann muss das erst recht für denjenigen gelten, der unbewusst handelt. Also für denjenigen, der ohne Erklärungsbewusstsein handelt.

Potenzielles Erklärungsbewusstsein

Die herrschende Meinung ist aber anderer Ansicht. Nach der herrschenden Meinung soll es für das Vorliegen einer Willenserklärung ausreichen, dass potenzielles Erklärungsbewusstsein vorliegt. Dieses Bewusstsein liegt vor, wenn der Erklärende den äußeren Anschein einer Willenserklärung zurechenbar verursacht hat. Der Erklärende hätte also bei pflichtgemäßer Sorgfalt erkennen können, dass der Empfänger sein Verhalten als rechtlich bindend verstehen wird. Genau das ist im Trierer Weinversteigerungsfall erfüllt. A hätte erkennen können, dass das Heben seines Arms bei einer Auktion als Gebot aufgefasst werden könnte.

Für die herrschende Meinung sprechen ebenfalls zwei Argumente. Das erste Argument ist der Schutz des Rechtsverkehrs. Also im Weinversteigerungsfall der Schutz des Auktionators. Ein objektiver Dritter muss davon ausgehen können, dass eine gewollte Erklärung vorliegt, wenn es objektiv so aussieht. Anderenfalls müsstest Du bei jeder konkludenten Erklärung nachfragen, ob der Erklärende wirklich das erklären will, wonach es aussieht. Das zweite Argument ist die Anfechtungsmöglichkeit. Dass ein Vertrag gegen den Willen des Erklärenden geschlossen wird, klingt zwar auf den ersten Blick ziemlich schlimm, ist es aber gar nicht. Denn der Erklärende kann seine Willenserklärung nach § 119 I BGB analog anfechten, so dass der Vertrag als von Anfang an nichtig angesehen wird.

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